Alles hat seine Geschichte. Dass diese wie im Falle einiger der berühmtesten Cocktails eine ist, die von Mord und Totschlag handelt, ist vermutlich den wenigsten bewusst. Wer denkt schon gerne während er seinen „Long Island Iced Tea“ oder „Mai Tai“ schlürft über Versklavung, Kolonialismus und gezielte Falschpropaganda nach.
Eine, die es getan hat, ist die Performancekünstlerin Stefanie Sourial. In ihrem aktuellen dreiteiligen Programm „Colonial Cocktail“ widmet sie sich der Entstehung beliebter Spirituosen, beschwört damit so manche Geister der Vergangenheit und animiert uns trotz bitteren Nachgeschmacks zum Genießen.
Die Kulturfüchsin traf die engagierte Künstlerin zum Gespräch. Ein Interview über Rezepte, Recherchen und wie man sich erfolgreich eine Performancereihe „mixt“.
Wie bist du auf die Idee gekommen ein Programm über Cocktailgeschichte zu gestalten?
Das ist tatsächlich ziemlich simpel: ich esse und trinke sehr gerne. Schon als Kind und später als Jugendliche habe ich mir immer die unterschiedlichsten Kochshows angeschaut. Es fiel mir immer schon leichter durch den Geschmackssinn zu lernen. Ich liebe vor allem Dinge mit intensivem Geschmack, darunter fallen eben auch destillierte Sachen. Zudem habe ich immer schon viel über die unterschiedlichen Produkte und ihre Geschichten gelesen.
Wann wurde dir klar, dass Cocktailgeschichte nur im Zusammenhang mit Kolonialisierung erzählt werden kann? Wie waren die Recherchen?
Mein Einstieg in die Cocktailgeschichte war, dass ich viel über Gin gelesen habe. Wenn man beginnt sich da einzulesen, erfährt man rasch, dass Gin mit jenen Botanicals zubereitet wird, die die HolländerInnen über die Ostindische Handelsgesellschaft aus ihren Kolonien importiert haben – so führt das eine zum anderen. Im Zuge meiner Recherchen bin ich dann auch auf den Podcast von Mark Sundaram und Aven McMaster gestoßen, zwei kanadische ProfessorInnen. Die beiden erklären Begriffe aus einer etymologischen Sicht. Das war für mich ein wahnsinnig hilfreicher erster Leitfaden.
Du hast die Performance-Reihe im Februar mit zwei Klassikern begonnen. Könntest du für alle, die den Auftakt verpasst haben, kurz erläutern was Gimlet und Gin Tonic mit Kolonialisierung zu tun haben?
Als die EuropäerInnen begonnen haben andere Länder zu kolonialisieren, mussten sie monatelang mit ihren Schiffen den Ozean überqueren. Sie konnten vieles transportieren: Waffen, Gold und Kanonen, aber nicht Vitamin C. Die Vitamin-C-Mangel-Krankheit Skorbut wurde dementsprechend zum Problem. Viele sind daran gestorben. Also hat man nach einer Möglichkeit gesucht, Vitamin C zu konservieren. Ein gewisser Dr. Gimlet, Doktor der Royal Navy, hat versucht Zitronen in Gin zu konservieren. Aber die Zitrone hat sich im Gin nicht gehalten, weil der Zucker gefehlt hat. Der Schotte Laughlin Rose hat Zucker hinzugefügt um Vitamin C zu konservieren und somit den heute immer noch wichtigsten Bestandteil eines Gimlets: „Roses Lime Cordial“ hergestellt.
Gin Tonic hingegen ist im Kampf gegen Malaria entstanden. Die SpanierInnen haben gesehen, dass die indigene Quechua-Bevölkerung in den Anden aus der Rinde des Chinarindenbaums, Chinin gewinnt, das gegen Malaria hilft. Also haben sie sich diese Plantagen angeeignet. Parallel dazu, hatten die HolländerInnen in Europa gerade einen 80 Jahre langen Krieg gegen die SpanierInnen gewonnen. Als Folge sind sie nach Südamerika gesegelt, wo sie die Samen des Chinarindenbaumes mitgenommen und in Java, das sie davor schon kolonialisiert hatten, kultiviert haben. 100 Jahre später, als die BritInnen Indien übernommen haben, fanden sie dort noch immer diese Chinarindenbaum-Plantagen der HolländerInnen vor. Da sie noch immer mit Malaria zu kämpfen hatten, hat ein Schweizer mit Namen Jakob Schweppes nur für die Briten in Indien mit Chinin und Zucker versetztes Sodawasser verkauft – das so genannte Schweppes Indian Tonic. Die BritInnen haben sich außerdem von den HolländerInnen Geneva abgeschaut, nur dass sie ihn verkürzt Gin nannten. So ist der klassische Gin Tonic entstanden.
Das alles waren Leute, die mitgeholfen haben ganze Bevölkerungen auszulöschen. Das muss man sich einmal bewusst machen, dass eine Bar als Ort, an dem man sich niederlässt, um zu genießen, dass einem dort, so viele Flaschen gegenüberstehen, die eine derart große Gewaltgeschichte in sich tragen.
Fändest du es sinnvoll diese Geschichten auf der Cocktailkarte dazuzuschreiben? Wir haben mittlerweile Fotos von Raucherlungen auf Zigaretten und Allergenen auf der Speisekarte . . .
Das fände ich durchaus spannend. Kaum jemand weiß heute noch etwas über die Geschichte der Dinge, die wir konsumieren. Wenn ich mir zum Beispiel einen Bombay Sapphire, den berühmtesten Gin überhaupt, anschaue, der in jeder Cocktailbar steht – da befindet sich auf dem Etikette tatsächlich bis heute eine Abbildung von Queen Victoria, deren zweiter Name Empress of India war. Oder etwas, dass du auch in jeder Bar findest: die Bols-Flaschen. Lucas Bols hat Hand in Hand mit der Ostindischen Handelskompanie gearbeitet. Allerdings ist Kolonialisierung in fast allem, was uns umgibt. Alles was wir anhaben, was wir tun, was wir riechen, was wir essen, ist davon geprägt.
Hast du im Stück bewusst nicht über Neokolonialismus gesprochen? Ich denke mir, auch da gäbe es vermutlich reichlich zu erzählen . . .
Vor allem der zweite Teil beschäftigt sich auch mit Fragen aus dem Heute. Aber ich will auf keinen Fall predigen und dann im Heute ankommen und sagen, so hier ist eine Conclusio. Ich wollte diese Geschichten so erzählen, wie ich mich gerade in ihnen befinde. Ich liebe diese Spirituosen, auch wenn sie eine problematische Geschichte transportieren. Alleine schon das Wort Spirituose ist wunderschön – da steckt Spirit, Geist drinnen. Im zweiten Teil geht es jetzt auch stärker um Geist – in dem Sinn: was macht die Vergangenheit, die wir nicht mehr unmittelbar sehen, mit uns im Jetzt. Was machen Gerüche, was machen Geschmäcker mit uns?
Du bist in der Wachau aufgewachsen, eine Weingegend. Ein Thema in der Performancereihe ist auch der Uhudler. Was viele vermutlich nicht wissen – auch der Uhudler hat eine Geschichte, die mit dem Kolonialismus in Verbindung steht.
Man kann durchaus sagen, dass der Uhudler ein Produkt des Kolonialismus ist. Als die EngländerInnen und FranzösInnen nach Nordamerika gekommen sind, haben sie gesehen, dass Weinreben dort unter schwierigen Bedingungen wachsen – viel besser als in Europa. Also haben sie diese Weinreben nach Europa geschickt, wo sie tatsächlich bestens gediehen sind. Was sie allerdings nicht wussten, war, dass sie mit den Reben auch die Reblaus eingeführt haben. Die nordamerikanischen Reben konnten über die Jahrhunderte eine Immunität entwickelt, die die europäischen natürlich nicht hatten. Das Ergebnis war, dass mehr als zwei Drittel des europäischen Weinbestands zerstört wurden. In Österreich konnten sich viele kleine WeinbäuerInnen teure Spritzmittel nicht leisten und hatten so die Idee, Reben aus Nordamerika einzusetzen – Reblaus befreit natürlich. Uhudler Wein muss man kaum pflegen, der wächst einfach. Das war den NationalsozialistInnen ein Dorn im Auge und sie haben die Trauben, aus denen man den Uhudler gewinnt, verboten. An vorderster Front stand auch Doktor Friedrich Zweigelt, Manager der Klosterneuburger Weinbauschule und Erfinder der Zweigelttraube. Zweigelt war zudem ein glühendes Mitglied der damals noch verbotenen NSDAP und hat später Studierende an die Gestapo ausgeliefert. Er und andere NationalsozialistInnen haben eine massive Falschpropaganda gegen den Uhudler betrieben: er sei primitiv, kulturlos und sogar giftig. Der Uhudler war tatsächlich von 1936 bis 1992 aufgrund dieser Falschpropaganda verboten und kämpft bis heute gegen diesen Ruf.
Im zweiten Teil sprichst du aktuell auch über Rum und Coca Cola. Interessant, dass es auch hier einen Österreichbezug gibt . . .
Das stimmt. Am Wiener AKH wurde das erste Mal im Zuge eines chemischen Prozesses Kokain aus der Cocapflanze gewonnen. Am Anfang wurde daraus Medizin gemacht. Der Erste Weltkrieg hatte viele Morphiumsüchtige hervorgebracht. Man dachte, man kann Alkoholismus und Morphiumsucht damit bekämpfen. Natürlich ist das nicht wahr. Man ersetzt so nur eine Sucht mit einer anderen.
An der Geschichte der Cocapflanze kann man sehr gut ablesen, wie brutal die EuropäerInnen mit anderen Kulturen umgingen und -gehen. Die Cocapflanze war für die indigene Bevölkerung eine wichtige Nahrungsquelle. Es steht eine 5.000 Jahre alte Tradition dahinter. Die EuropäerInnen haben Cocapflanzen zuerst verboten, und sich aber dann im Zuge der Versklavung zu Nutzen gemacht, weil sie gemerkt haben, dass die Leute schneller arbeiten. Mit der Erfindung des Kokains wurde schließlich auch die Cocapflanze kriminalisiert.
Diese und viele Geschichten mehr erzählst du auf der Bühne in der Atmosphäre einer Bar. Im Mittelpunkt steht das Wort. Ist diese Arbeitsweise typisch für dich?
Ich komme von der Performance und arbeite normalerweise mit leeren Bühnen. Dieses Mal habe ich ein Bühnenbild und viele Requisiten hineingenommen, was für mich am Anfang sehr schwierig war. Die Bewegungen, die ich auf der Bühne mache, sind keine abstrakten, sondern die Bewegungen eines Barkeepers. Ich wollte das Publikum von Anfang an als Erzählerin mitnehmen. Meine Gäste erzählen die Geschichten dann auf einer anderen Ebene. Im ersten Teil zum Beispiel gemeinsam mit Katia Ledoux auf der Ebene der Musik. Im zweiten Teil steht die koreanische Künstlerin Hyo Lee mit mir gemeinsam hinter der Bar. Sie ist Künstlerin, war zehn Jahre lang Barkeeperin und hat eine ganz spezielle Geschichte mit einem ganz speziellen Zugang mitgebracht und das Stück dadurch besonders bereichert.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit den Gastkünstlerinnen ergeben?
Für diese Performancereihe wollte ich bewusst mit Leuten arbeiten, die einen anderen künstlerischen und persönlichen Zugang haben als ich. Hyo Lee, die jetzt im zweiten Teil mit mir auf der Bühne ist, ist Foto- und Videokünstlerin. Katja Ledoux, vom ersten Teil, ist Opernsängerin und Bassano Bonelli und Mzamo Nondlwana, die im Oktober mitmachen, kommen von Tanz, Choreographie und Sounddesign.
Du unterrichtest auch Performance an der Akademie der bildenden Künste. Kannst du uns etwas über die Performance-Szene in Österreich erzählen. Wie ist der Austausch untereinander?
Es ist toll zu sehen, wie viel sich in der Performance-Szene tut. So viele Leute arbeiten an Projekten in verschiedenster Form, es gibt jeden Tag etwas zu sehen. Ich versuche so viel zu sehen, wie ich kann und weiß, ich verpasse trotzdem immer noch sehr vieles, vor allem Neukreationen. Auch die kleineren Spielstätten, wie das „brut“, in dem ich gerade spielen darf, lassen KünstlerInnen viel Raum, um neue Formen des Theaters zu kreieren, Neues ausprobieren zu können und das finde ich extrem spannend. Das ist sehr bereichernd.
Vielen Dank für das Gespräch!
Danke auch.
Zur Person: Stefanie Sourial wurde 1981 geboren. Nach ihrem Schulabschluss zog sie von Österreich nach Paris und anschließend nach Kairo um dort mit obdachlosen Jugendlichen Theaterprojekte zu machen. Von 2005 bis 2007 besuchte sie die internationale Schule für Theater Jacques Lecoq. Zurück in Wien arbeitete sie als Produktionsassistentin und -leiterin bei Festivals wie z.B. Wiener Festwochen, Steirischer Herbst, Donaufestival etc.. Seit 2009 tritt sie als Performancekünstlerin und Musikerin auf. 2018 veröffentlichte sie ihr erstes Musikalbum „Amsterdam“. Regelmäßig ist sie zudem bei „Burlesque Brutal“ im brut zu sehen.
Colonial Cocktail
Volume 2: Spirits mit Special Guest Hyo Lee
9. bis 13. Mai 2019
(Am 13. Mai findet ein Publikumsgespräch im Anschluss statt)
studio brut
Zieglergasse 25, 1070 Wien
Volume 1 fand im Februar statt, Volume 3 folgt im Oktober
https://brut-wien.at
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